Vom VWler in Kassel zum Kuhbanker am Ende der Welt

Dieser Artikel wurde von meiner Freundin Jenni Roth geschrieben, wofür ich mich sehr bedanke, Jenni hat Ha Tinh besucht und weiß wie die Menschen dort leben. Ich bin gerührt das ich es wert bin, dass man einen Artikel über mich schreibt, denn ich bin ja nur meinem Herzen gefolgt.

Christian Ide ist 36 Jahre alt. Er hat einen top bezahlten Job bei VW (Volkswagen) auf Lebenszeit und gerade ein Haus gekauft, als er beschließt, das ihm das alles nicht reicht: Er geht in ein Provinzdorf in Nord-Zentralvietnam (das muss man bei einem so langen Land schon so sagen…), um eine Kuhbank zu eröffnen. Das Prinzip: Anstelle eines Geldbetrages erhält eine arme Familie von seiner Bank eine Kuh als Leihgabe.

„Sag dem Taxifahrer Ben Xe My Dinh“, sagt Christian, so heißt der Busbahnhof in Hanoi. Das Ticket kostet 140.000 Dong, also sechs, sieben Euro, die Fahrt im Schlafbus nach Ha Tinh dauert acht Stunden. Beim Einsteigen drückt mir der Busfahrer eine Tüte in die Hand. Ratlos stehe ich da und beschließe dann, einfach weitergehen. Er hält mich aufgeregt gestikulierend an, zeigt auf meine Füße. Die Tüte ist für die Schuhe da. Die Vietnamesen ziehen ihre Schuhe an der Haustür aus (genau wie die Finnen), warum also nicht auch im Bus…

Die Decke auf der Liege riecht nach Mensch und nicht eben frisch gewaschen. Der Bus wird immer voller. Zwischen den Liegen werden Plastikmatten ausgelegt, um Platz für noch mehr Passagiere zu schaffen. Beißender Schweißgeruch, Dauerklingeln der Handys. Ich bin die einzige Ausländerin im Bus, und alle reden im Stakkato auf Vietnamesisch aufgeregt ein. Und pausieren erst, als wir irgendwo in der Einöde für ein Pho halten und ich die erste „Frauen-Pissrinne“ meines Lebens sehe. Ein Steinfußboden mit leichter Neigung nach links.

Blonde Haare? Noch nie gesehen…In Ha Tinh fassen die Kinder meine Haare an. Blond, das haben sie noch nie gesehen. Straßenkinder sind in der Stadt mit ihren 100.000 Einwohnern noch Exoten. Kinder umstreunen mobile Garküchen, Büffel trotten über die Straße, vor den Toren der Stadt knattern Mopeds über die unbefestigten Wege und wirbeln roten Staub in die Luft. Doch unter dieser Oberfläche ruht unangetastet ein Schatz: Rund eine Milliarde Tonnen Eisenerz.

Die Region soll das größte Eisenerzabbaugebiet Südostasiens werden. Der taiwanesische Stahlriese Formosa erschließt schon das Gebiet zwischen Minen und Hafen und siedelt Bewohner zahlreicher Dörfer um. Die Industriezone der Zukunft.

Doch davon spüren die Dorfbewohner rund um die Provinzhauptstadt wenig. Es ist eine der ärmsten Regionen Vietnams. In dem Dorf Tam Quy etwa kommen die Bauern mit 350.000 bis 500.000VND (VND = Vietnam Dong) pro Monat aus – das sind 14 bis 40€. Damit leben viele von ihnen sogar unter der von den Vereinten Nationen definierten Grenze für „extreme Armut“.

Christian Ide kennt die Bauern, die Witwen und die Familien mit behinderten Kindern persönlich. Als er beschloss, in Vietnam ein neues Leben als Entwicklungshelfer anzufangen, bekam er über den Deutschen Entwicklungsdienst DED erst einmal eine Stelle in Ha Tinh an einer deutsch-vietnamesischen Berufsschule – die neuerdings auch von Siemens unterstützt wird: Der Konzern versorgt schon jetzt 50 Prozent der Containerkräne vietnamesischer Häfen. Wenn in Ha Tinh bald ein neuer Hafen entsteht, will er auch hier mit seinem elektronischen Paket einsteigen. Die von Siemens geschulten Experten könnten dann die Anlagen bedienen und warten.

Glückliche Besitzerin einer Leihkuh

Ein Projekt, auf das auch Christian am Herzen liegt. Aber noch persönlicher sind die Kühe. Und die Kaninchen. Als er vom Prinzip der Kuhbank hörte, beschloss er, selbst eine zu eröffnen. Das Prinzip: Fünf arme Familien erhalten anstelle eines Geldbetrages je eine Kuh als Leihgabe. Das Geld für die erste Kuh sammelte über das Online-Spendenportal betterplace.org. Die begünstigten Familien sind verantwortlich für ihre Projekt-Kuh und können sie als Arbeitstier für die Feldarbeit und als „Düngerlieferant“ verwenden.

Das erste weibliche Kalb der Kuh muss in das Projekt „zurückgezahlt“ werden. Ab dieser Rückzahlung gehört die vorige Leihgabe Kuh der Familie. Alle weiteren Kälber darf die Familie behalten und zum Aufbau einer eigenen Herde, also zur wirtschaftlichen Entwicklung der Familie, nutzen. Das zurückgezahlte Kalb wird als ‚Leihgabe Kuh‘ an die nächste arme Familie weiterverliehen.

Der Dorfbürgermeister bei einer Besprechung

Das Prozedere läuft demokratisch ab. Da sitzen dann die Familien mit dem Bürgermeister zusammen, trinken Tee, die Tabak-Bong geht von Mann zu Mann und dann wird abgestimmt, wer die Kuh am nötigsten hat. Eine klassische Hilfe zur Selbsthilfe, die arme Familien befähigt, eine eigene Kuhherde aufzubauen und zu versorgen. Die Zahl der profitierenden Familien wächst stetig, Armut und Hunger können nachhaltig gemindert werden.

Kuhbanker Christian Ide

Seit neuestem sind auch Kaninchen im Geschäft. Diese „Kaninchenzuchtvereine“ sind eine Attraktion in Ha Tinh – die Menschen hatten noch nie ein Kaninchen gesehen, bevor Christian Ide die Kaninchenbank eröffnete. Was treibt diesen Ex-VWler, freiwillig hier zu sein, mitten in der Provinz? Wo nicht selten der Strom für Stunden, wenn nicht für Tage ausfällt. Die Wasserversorgung auch. Wo Christian von heute auf morgen aus seinem Haus ziehen muss, weil nebenan eine Klopapierfabrik gebaut wird.

Aber da ist das ‚Südchinesische Meer, in das er nach Feierabend abtauchen kann. Im Garten Bananen pflücken. Bambuswälder, Kokospalmen, schimmernde Reisfelder im Abendlicht. Vor allem aber: Menschen sind doch etwas anderes als Autos.

Informatinen und Bilder unter: http://www.geo.de/blog/geo/blog-notizen-aus-vietnam/allgemein/kuhbank-oder-lebenslanger-job-bei-vw

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